Muslimische Jugend siegt gegen Verfassungsschutz

jankuhlmann.net, 17. Februar 2012

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in einem Rechtsstreit mit einer muslimischen Jugendorganisation eine Niederlage erlitten. Die Kölner Behörde muss mehrere Passagen über die Muslimische Jugend in Deutschland (MJD) in ihrem Bericht für das Jahr 2009 streichen. Das entschied das Berliner Verwaltungsgericht gestern.

Eigentlich erfüllen die bundesweit rund 900 Mitglieder der MJD alles, was die Mehrheitsgesellschaft von Muslimen verlangt: Sie sprechen perfekt Deutsch, die meisten gehen aufs Gymnasium oder zur Universität, sie nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Die 1994 gegründete MJD wendet sich ausdrücklich gegen Gewalt und radikales Gedankengut.

Sie beteiligt sich auch an Projekten, die die Demokratie fördern sollen. Im vergangenen Jahr besuchte eine MJD-Gruppe erstmals das frühere NS-Vernichtungslager Auschwitz und gedachte dort des Massenmordes an den Juden.

Trotzdem stößt die Organisation immer wieder mit Normen und Werten der Bundesrepublik zusammen, nicht zuletzt weil sie für eine konservative Form des Islam steht. Viele Gruppen vor Ort, die so genannten Lokalkreise, sind etwa nach Mädchen und Jungen getrennt.

Vier Verfassungsschutzbehörden sehen in der MJD sogar eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. So taucht die Muslimische Jugend u.a. in den Berichten der Staatsschützer des baden-württembergischen Landesamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf.

Zumindest der Jahresbericht 2009 der Bundesstaatsschützer muss nun teilweise überarbeitet werden. Die Behörde muss ihren Vorwurf streichen, die MJD habe ihren Mitgliedern empfohlen, sich in allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung an den Maßgaben des Europäischen Fatwa-Rates (ECFR) in Dublin zu orientieren. Kritiker sehen den ECFR als nah an den islamistischen Muslimbrüdern.

In dem Verfassungsschutzbericht ging es zudem um ein Ex-Vorstandsmitglied der MJD. Die Münchner Polizei hatte im Frühjahr 2009 gegen den jungen Pädagogen ermittelt. Er soll zu einer Gruppe gehört haben, der gleich eine längere Liste von Vorwürfen gemacht wurde, u.a. finanzielle Unterstützung des internationalen Terrorismus.

Während der Verfassungsschutzbericht die Ermittlungen erwähnt, schweigt er sich darüber aus, dass die Staatsanwaltschaft sie mangels Tatverdacht eingestellt hat. Schwärzen muss der Verfassungsschutz jetzt den Satz, dass ein ehemaliger MJD-Vorstand zu den Beschuldigten gehörte.

Auf dem Computer des Mannes hatten Ermittler auch einen anti-westlichen Schulungsleitfaden gefunden, den die MJD laut Verfassungsschutz für ihre Seminare benutzt hat. In dem Papier heißt es u.a., Teilnehmer sollten nach Abschluss des Kurses «fähig sein, durch die Schönfärberei der westlichen Regierungen zu sehen, welche die tyrannischen muslimischen Herrscher unterstützen und involvieren, um muslimische Regime aktiv zu destabilisieren. Demnach sollte er die Notwendigkeit verspüren, den politischen Status Quo zu verändern».

Aber auch dieses Zitat muss aus dem Verfassungsschutzbericht gestrichen werden, da für das Gericht sein Einsatz trotz Indizien nicht hinreichend belegt ist.

Weiterhin verwenden darf der Verfassungsschutz jedoch ein anderes Zitat aus dem Schulungsleitfaden. Es lautet: «Die Teilnehmer sollten am Ende dieses Kurses erkennen, dass Allah die beste Anleitung zu den Prinzipien eine Regierung zu führen zur Verfügung gestellt hat, dass Säkularismus im Islam keinen Platz hat und dass die Muslime daher sich bemühen müssen, Allahs Anleitung in allen Belangen umzusetzen.» Das Gericht war überzeugt, dass es sich hierbei um von der MJD verwendetes Schulungsmaterial handelte.

Die Jugendorganisation wies diesen Vorwurf jedoch zurück. Die anti-westlichen Teile des Schulungsleitfaden einer britischen Muslim-Organisation widersprächen den Zielen ihrer Organisation, sagte MJD-Vorstandsmitglied Malika Mansouri, eine 31 Jahre alte Rechtsreferendarin aus Bielfeld. «Daraus eine Verfassungsfeindlichkeit zu konstruieren, ist an den Haaren herbeigezogen.»

Dennoch zeigte sie sich von dem Urteil «im Großen und Ganzen» erleichtert. Weder der Verfassungsschutz noch sein Anwalt wollten sich gegenüber Journalisten zu dem Fall äußern.

Die Klage ist auch deshalb interessant, weil sich dahinter eine grundsätzliche Frage verbirgt: Wie geht die christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft mit gläubigen Muslimen um, die nicht radikal sind, ihre Religion aber konservativ auslegen und deshalb im Konflikt mit gängigen Werten und Normen des Landes stehen?

Die Verfassungsschützer behalten die MJD im Blick. Im Jahresbericht 2010 äußert sich der Bundesverfassungsschutz jedoch wesentlich zurückhaltender über die Vereinigung. Dort heißt es nur allgemein, die Organisation habe enge Beziehungen zur islamistischen Muslimbruderschaft. Auch diesen Vorwurf weist die MJD zurück. «Ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist bei uns Programm», sagte der MJD-Vorsitzende Hischam Abul Ola aus Karlsruhe.

(Am 17. Februar 2012 in gekürzter Fassung erschienen in der Stuttgarter Zeitung)

Kategorie: Worte | Tags: , ,

 

 

Nächster Beitrag: Die Muslimische Jugend und der Verfassungsschutz

Vorheriger Beitrag: «Die Christen spielen politisch keine Rolle»