Rezension: «Demokratie im Islam»

Neue Zürcher Zeitung, 25. August 2011

Demokratie im Islam Die vor allem im Westen festgefügte Ansicht, dass Islam und Demokratie einander ausschliessen, ist durch die Aufstände in der arabischen Welt ins Wanken geraten. Gudrun Krämer, Islamwissenschaftlerin aus Berlin, untersucht in ihrem neuen Buch das schwierige Verhältnis.

Islam und Demokratie, das schien sich nach einer zumindest im Westen weitverbreiteten Ansicht zu widersprechen. Wer immer diese These vertrat, konnte dafür in der klassischen islamischen Theologie leicht Argumente finden. Sie akzeptiert nur Gott als Souverän, nicht aber den Menschen, womit sich kein demokratischer Staat machen lässt. Vor allem Islamisten widersetzen sich zudem einer Trennung von Religion und Staat.

Islamkritiker können zugleich auf die real existierenden Verhältnisse verweisen: Kein Land der Welt, das sich als islamisch versteht, kann ein wirklich demokratisches System vorweisen.

Und doch: Spätestens seit der Revolte in der arabischen Welt wankt die These vom Widerspruch zwischen Islam und Demokratie. Die jungen Aufständischen zogen nicht unter dem grünen Banner des Islam auf die Strasse. Sie fordern stattdessen Freiheit und Demokratie. Ihr Schlachtruf lautet: «Das Volk will den Sturz des Systems.» Das ist die arabische Version von «Wir sind das Volk». Ohne Rückgriff auf Gott machen sich hier die Massen zum Souverän.

Überhaupt finden sich im islamischen Denken zwar Argumente gegen, aber genauso gut auch für demokratisch-freiheitliche Verhältnisse – was die Islamwissenschafterin Gudrun Krämer ausführlich in ihrem Buch mit dem Titel «Demokratie im Islam» darlegt. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie Islam und Demokratie grundsätzlich für vereinbar hält. Die für die Demokratie nötigen Rechts- und Wertvorstellungen könnten nicht nur im christlichen Abendland gedeihen. Krämer schöpft aus einem grossen Wissensschatz, den sie auch für Laien verständlich einsetzt. Die Stärke des Buches liegt darin, dass es nie banal, aber immer sachlich und ausgewogen argumentiert.

Grundlage allen muslimischen Denkens sind der Koran und die Sunna, die Sprüche und Taten des Propheten. Es liegt in der Natur der Geschichte, dass sie keine konkreten Aussagen zur Demokratie hinterlassen haben, wohl aber allgemeine Prinzipien, die sie möglich machen. Da ist vor allem die Shura, das Beratungsprinzip, das im Koran zu finden ist und nach Ansicht vieler Muslime in einer parlamentarischen Demokratie verwirklicht werden kann.

Auch die alleinige Souveränität Allahs spricht laut Krämer nicht zwangsläufig gegen demokratische Verhältnisse. Gott könne «den Menschen gewisse Vollmachten zur Regelung ihrer Angelegenheiten» übertragen, «die das Volk wiederum an den Herrscher delegiert, eine Vorstellung, die sich bei weiterer Ausdehnung mit parlamentarischen Prinzipien in Einklang bringen lässt».

Und überhaupt, so Krämer, sage die Ableitung von Rechten und Pflichten nichts über deren Inhalt aus: «Es bleibt grundsätzlich die Möglichkeit, Elemente einer demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung in diesen religiösen Begrün- dungszusammenhang einzuordnen.» Entscheidend ist also, um es salopp zu sagen, was hinten rauskommt, und nicht, wie es begründet wird.

Auch die Formel vom unzertrennlichen Band zwischen Religion und Staat hält Krämer nicht für eine normative Aussage über den Islam. Zu eigen gemacht haben sie sich die Islamisten, die vor allem im Westen den Feind sehen, der dem Islam die Säkularisierung aufzwingen wolle und den muslimischen Gesellschaften so ihre Identität nehme. In der Debatte über Demokratie sind hier bis heute die heftigen Nachwehen der Kolonialzeit zu spüren.

In der Praxis haben Islam und Demokratie aber noch kein Miteinander gefunden. Da ist etwa der Dominanzanspruch des Islam. Mit der Gleichstellung von Muslimen mit Nichtmuslimen tut sich der Islam schwer. Die vorherrschende Lehre kennt zwar duldende Toleranz, was jedoch nicht bürgerliche Gleichheit bedeutet. Zudem sind der Freiheit des Individuums Grenzen gesetzt, weil das Kollektiv der muslimischen Gemeinschaft Vorrang besitzt. Krämer sieht hier Differenzen zum modernen Menschenrechtsverständnis.

Es wird also noch ein Weg zurückzulegen sein, bis sich im ersten muslimisch geprägten Staat eine echte Demokratie etabliert hat. Doch auch der politische Islam ist wandelbar. Die Lernfähigkeit islamischer und islamistischer Akteure darf laut Krämer nicht übersehen werden. Damit trifft sie einen entscheidenden Punkt. Der Koran mag für Muslime unveränderlich sein, nicht aber seine Auslegung durch den Menschen. Zudem hat die arabische Revolte eins eindrucksvoll bewiesen: dass sich die arabischen Gesellschaften stärker verändern als bisher von aussen wahrgenommen.

Gudrun Krämer: Demokratie im Islam. C.H. Beck Verlag, München 2011. 219 Seiten, 14,95 Euro.

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