Wenn Kritiker zu Kritisierten werden

Stuttgarter Zeitung, 29. Juli 2011

Zuletzt war es ruhig geworden um die Publizisten, die allgemein als «Islamkritiker» bezeichnet werden. Autoren wie Henryk M. Broder oder Necla Kelek sahen sich einem unerwarteten Dilemma gegenüber: Während sie unaufhörlich vor dem Islam gewarnt hatten, demonstrierten plötzlich überall in der arabischen Welt Millionen Muslime für Freiheit und Demokratie – das passte nicht zu der These, der Islam und Muslime produzierten Terror, Gewalt und Unterdrückung.

Nun stehen die Islamkritiker wieder im Fokus, aber anders als erwartet. Nach den Anschlägen des Norwegers Anders Breivik ist die Frage aufgetaucht, ob die oft polemische und alarmistische Kritik am Islam den geistigen Boden für den Massenmord mit bereitet hat. In seinem mehr als 1500-seitigen Manifest hetzt Breivik gegen die Islamisierung Europas, die »politisch korrekte« Politiker, Wissenschaftler und Journalisten zu verantworten hätten.

Im Tenor gleicht das den Thesen, die auch die Islamkritiker vertreten. Weshalb die deutsche Internetseite »Turkishpress« ätzte: »Wilders, Sarrazin und Broder mitsamt der Euterclique können stolz darauf sein, diese Brut mit ihrer ,Streitkultur‘ aufgezogen und gehätschelt zu haben.« Die »Euterclique«, damit sind nicht zuletzt die beiden deutschtürkischen Autorinnen Necla Kelek und Seyran Ates gemeint.

Vor allem gegen Broder richten sich die Vorwürfe gegen die Islamkritiker, weil er in Breiviks Pamphlet namentlich erwähnt wird. Zitiert wird ein etwa fünf Jahre altes Interview mit der niederländischen Zeitung »De Volkskrant«, in dem sich Broder darüber mokiert, dass sich Europa gegen die angebliche Islamisierung nicht wehre.

Angehen lassen muss sich Broder nun auch von sonst gemäßigteren Stimmen. »Es sind Politiker, Blogger, Publizisten, die das Klima angeheizt haben, in dem einer wie Anders Behring Breivik erst möglich wurde«, schreibt der Journalist Robert Misik auf der Internetseite qantara.de, hinter der unter anderem die Deutsche Welle und das Goethe-Institut stehen.

Beißend ist auch die Kritik von Lamya Kaddor, der Vorsitzenden des Liberal-Islamischen Bundes: »Die Islamkritiker sind nicht schuld an der Tat, aber sie haben sie begünstigt. Sie diffamieren den Islam pauschal und schüren damit Ängste. Broder und Co. haben dafür gesorgt, dass die antimuslimische Stimmung gesellschaftsfähig wird. Breivik hat sich durch sie bestätigt gesehen. Damit sitzt Broder mit im Boot.«

Jedoch: der Gescholtene selbst ist sich keiner Schuld bewusst. Broder tut vielmehr das, was er immer tut: Er schießt mit voller Wucht zurück. »Breivik wusste, dass er seine Tat ,rational‘ begründen muss«, schrieb der Publizist in dieser Woche auf »Welt-Online«: »Und das hat er nicht bei mir und Thilo Sarrazin gelernt, sondern bei Mohammed Atta und Osama bin Laden, bei den Attentätern von Madrid, London, Mumbai, Bali.« Seine Kritiker verhöhnt er: Mit einer »Schamlosigkeit sondergleichen« wollten sie sich jetzt einen »moralischen Vorsprung« verschaffen.

Auch Seyran Ates, die Autorin des Buches »Der Multikulti-Irrtum«, zeigt sich unbeeindruckt, wiewohl entsetzt: »Hier wird die Gelegenheit genutzt, die alte undifferenzierte Kritik zu wiederholen, dass Leute wie ich eine Hetzkampagne gegen den Islam führen und deshalb geistige Brandstifter sind.« Für sie als Frauenrechtlerin sei nicht der Islam der Feind, »sondern das Patriarchat und, wenn Sie wollen, Islamisten«. Da könne sie nicht »geistige Mutter« eines »geisteskranken« Attentäters sein.

Unterstützung erhalten Broder und andere von unerwarteter Seite: von der Stuttgarter SPD-Integrationsministerin Bilkay Öney, sonst oft selbst im Visier antimuslimischer Hetze. Es sei falsch, die Unterstützung erhalten Broder und andere von unerwarteter Seite: von der Stuttgarter SPD-Integrationsministerin Bilkay Öney, sonst oft selbst im Visier antimuslimischer Hetze. Es sei falsch, die »Islamkritiker« in Mithaftung zu nehmen, sagt sie: »Wir sollten Abstand davon nehmen, uns gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben. Niemand geht auf die Straße und erschießt Menschen, weil er Broder oder Sarrazin gelesen hat.«

Auch der frühere NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) nimmt die Islamkritiker in Schutz: »Broder und Sarrazin bewegen sich im demokratischen Diskurs. Schlimmer sind Hetzblogs im Internet, die deren Thesen in Brachialsprache übersetzen.« Ein Hetzblog, das ist für Laschet die Internetseite »Politically Incorrect«, die sich nur einer Aufgabe verschrieben hat: den Islam und Muslime zu diffamieren.

Beißende Kritik, scharfe Repliken – wenig spricht dafür, dass in der Debatte über den Islam und Muslime künftig abgerüstet wird. Lamya Kaddor befürchtet sogar, dass auch die Vorbehalte gegenüber Muslimen weiter wachsen: »Ich glaube nicht, dass der Höhepunkt der Islamfeindlichkeit schon erreicht worden ist«, sagt sie und warnt: »Da kommt noch was: weitere Attentate, tätliche Angriffe auf Muslime, Brandanschläge auf Moscheen. Mögliche Täter haben mit Breivik jemanden gefunden, der vormacht, wie es geht.«

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