Mein Sohn, der Dschihadist – Wie junge Muslime aus Deutschland in den Terror abgleiten
Ein Internetvideo mit verwackelten Bildern. Zu sehen sind junge Männer in Uniform, die Gesichter mit Tüchern vermummt. Sie üben in einer kargen Landschaft das Schießen und geben sich als martialische Kämpfer. Eine andere Aufnahme zeigt, wie sie mit Gewehren durch den Schnee marschieren. Das Internetvideo stammt aus dem Jahr 2009. Es trägt den Titel »Der Ruf zur Wahrheit«. Die Bilder sind im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan aufgenommen worden. Sie zeigen Dschihadisten – junge Muslime aus Deutschland, die in den Heiligen Krieg gezogen sind. Unter ihnen ist auch ein junger Mann aus Berlin: der Deutsch-Türke Yusuf O.
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Berlin zu Beginn des Jahres 2013: Das altehrwürdige Kriminalgericht im Stadtteil Moabit liegt an einer befahrenen Straße. An diesem Freitag Ende Januar scheint das erste Mal seit Wochen wieder die Sonne – doch für Yusuf O. ist es kein fröhlicher Tag. Er und Maqsood L. waren im vergangenen Jahr aus Pakistan nach Europa zurückgekehrt. Die beiden wurden festgenommen und angeklagt. Nach fast einem Jahr Gerichtsverhandlung in Berlin verkündet der Richter des 1. Strafsenates an diesem Vormittag das Urteil. An der Schuld der beiden bestand kein Zweifel, sagt Gerichtssprecher Tobias Kaehne.
»Das Gericht hat die Angeklagten für schuldig befunden der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation im Ausland. Dem Angeklagten Yusuf O. hat das Gericht nachweisen können nach seinen Ausführungen, dass er sich an den Deutschen Taliban Mudschahidin beteiligt hat und an Al-Kaida. Dem anderen Angeklagten ist nur die Mitgliedschaft bei Al-Kaida nachgewiesen worden.«
Yusuf O. muss für neun Jahre ins Gefängnis, Maqsood L. für mehr als sechs. In Europa hätten die beiden versucht, neue Mitglieder für das Terrornetzwerk Al-Kaida anzuwerben, sagt Chefankläger Lothar Maur von der Generalbundesanwaltschaft.
»Nun, der Vorsitzende hat im einzelnen ausgeführt, dass die Angeklagten den Auftrag hatten eine Zelle zu bilden, vielleicht auch mehrere Zellen in Europa, und dass diese Zellen irgendwann, zu gegebener Zeit, auf Abruf auch Anschläge begehen sollten. Also mit dem Urteil ist ein Zeichen gesetzt worden, und ich finde dieses Zeichen natürlich richtig. Und das Urteil trägt in vollem Umfang der Gefährlichkeit der Angeklagten Rechnung.«
An mehr als 70 Verhandlungstagen saß Yusuf O. in Saal 700 hinter Panzerglas, ohne auch nur ein einziges Wort auszusagen. Für den Tag der Urteilsverkündung hat er sich die Haare raspelkurz rasiert. Er trägt ein weißes Hemd. Als der Richter das Strafmaß verkündet, schüttelt Yusuf O. den Kopf und grinst seine Mutter an, die ein paar Meter entfernt im Publikum sitzt – eine kleine, hagere Frau, die sich eine schwarze Mütze über das Haar gezogen hat.
Sie blickt so ernst und verzweifelt, als könne sie noch immer nicht glauben, dass ihr Sohn ein Dschihadist geworden ist. Einer, der andere töten will. Viele Tage hat sie den Prozess verfolgt. Manchmal lächelte Yusuf O. sie an. Die Gesichtszüge des jungen Mannes sind weich, die Augen freundlich. Er sieht nicht aus wie ein Krieger – eher wie einer, der älteren Damen über die Straße hilft. Zeugenaussagen über Yusuf O. haben auch Oberstaatsanwalt Maur zum Grübeln gebracht:
»Yusuf O. ist als hilfsbereiter, schüchterner, fast durchgehend gut gelaunter, positiver Mensch beschrieben worden. Also insofern ist es schon ein bisschen erschütternd, dass gerade so jemand auf die falsche Bahn geraten konnte. Einer der Zeugen hat uns erklärt: Er war sicher kein Leadertyp. Das sagt vielleicht schon einiges. Also keiner, der sich nach vorne drängte, keiner, der Führerschaft übernehmen wollte. Möglicherweise hatte er doch einen gewissen Ehrgeiz in der Richtung, der dann dadurch befriedigt worden ist, dass er eben dort unten eine andere Rolle spielen konnte als hier.«
Yusuf O. wird 1985 in Lübeck geboren. Beide Eltern kommen aus der Türkei. Als er drei ist, zieht die Familie nach Berlin. Yusuf O. lebt in einfachen Verhältnissen. Der Vater ist Installateur, die Mutter Hausfrau. Seine Noten in der Schule sind passabel. So gut jedenfalls, dass er das Abitur schafft. Später studiert er Wirtschaftsingenieurwesen. Yusuf O. steht die Zukunft offen. Er könnte sein Studium abschließen und ein friedliches Leben führen. Aber Yusuf O. entscheidet sich anders.
Irgendwann an der Uni muss seine Radikalisierung begonnen haben. Den Behörden fällt er das erste Mal im Jahr 2007 auf. Da verschickt Yusuf an Freunde und Bekannte eine Textbotschaft über das Handy. Darin heißt es: »Mit der Öffnung der SMS haben Sie gerade einen Zionisten getötet. Bitte schicken Sie diese SMS weiter.« Von hier führt ihn sein Weg bis in den »Heiligen Krieg« am Hindukusch.
Was bringt einen Menschen wie Yusuf O. dazu, ein Dschihadist zu werden? Was verleitet junge Männer und Frauen dazu, Frieden und einen gewissen Wohlstand in Deutschland gegen Terror und Gewalt einzutauschen? Was löst in ihnen einen solchen Hass aus, dass sie blutige Anschläge verüben wollen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich Claudia Dantschke immer wieder. Sie arbeitet seit vielen Jahren am Berliner Zentrum Demokratische Kultur mit radikalisierten jungen Muslimen. Kaum jemand in Deutschland kennt dieses Milieu so gut wie sie. Dantschke weiß: Ob jemand in radikale Gruppen abgleitet, hat wenig mit seiner Herkunft zu tun.
»Betroffen sind Familien und ihre Töchter und Söhne aus jeder sozialen Schicht und aus jedem kulturellen, religiösen Hintergrund. Es gibt Familien, die sind weltlich, herkunftsdeutsch. Es gibt Familien, die sind relativ weltlich, haben aber Migrationshintergrund: Polen, Russland. Es gibt weltliche türkische Familien, es gibt religiös konservative türkische Familien. Also es geht durch alle sozialen Schichten, durch alle Herkünfte.«
Ein typisches Merkmal junger Dschihadisten hat Dantschke auch bei Yusuf O. festgestellt: Wie er haben viele von ihnen in ihrem Leben Brüche erlebt. Yusufs Eltern lassen sich scheiden, als er 16 ist. Claudia Dantschke kennt viele Fälle von radikalisierten Jugendlichen, die eine wichtige Bezugsperson verloren haben. Häufig machen ihnen auch schlechte Erfahrungen in der Schule zu schaffen.
»Sie haben quasi innerhalb ihre Schulumfeldes, ihres sozialen-gesellschaftlichen Umfeldes, in der Peer-Group so eine Art von Ausgrenzungserfahrung. Also entweder Mobbing oder sie gehörten nicht dazu, hatten so einen Außenseiterstatus. Also die im Grunde genommen in einer relativ unsicheren Position sind, also Selbstwertgefühl ist nicht stark ausgeprägt. Und so eine Unsicherheit: Wie soll es weitergehen?«
Meistens beginnt die Radikalisierung in der Pubertät, dann, wenn die Jugendlichen anfangen, den Sinn ihres Lebens zu suchen. Und wenn sie sich, von den Eltern abgrenzen wollen. Auffällig ist dabei, dass in den allermeisten Familien radikalisierter Muslime die Religion im Alltag keine oder nur eine geringe Rolle spielt. Den Jugendlichen mangelt es an Wissen über Gott und ihren Glauben. So war es auch bei Yusuf O. Er ist empfänglich für die einfachen Parolen radikaler Prediger. Und für simple Erklärungen, warum das Leben schlecht läuft. Dabei spielen auch Diskriminierungserfahrungen eine Rolle, sagt Claudia Dantschke.
»Und ein Erklärungsmuster: Ja, die wollen dich hier nicht, weil Du Muslim bist, ist dann natürlich sehr griffig. Und in den letzten zehn Jahren hat sich das ja verlagert von dieser Ausländerfeindlichkeit oder Türkenfeindlichkeit hin zu dieser Identität Muslim.«
Doch als Erklärung reicht das nicht aus. Ausgrenzung und Diskriminierung erleben viele Jugendliche in Deutschland. Dennoch radikalisiert sich nur eine kleine Minderheit und wird gewalttätig. Jugendliche wie Yusuf O. müssen in ein Umfeld geraten, das sie mit radikalem Gedankengut infiziert – etwa in salafistische Milieus. Salafisten, das sind Muslime mit einem rückwärtsgewandten, geradezu archaischen Islamverständnis. Sie wollen so leben, wie einst der Prophet Muhammad und seine Nachfolger vor 1400 Jahren. Sie verstehen den Koran wörtlich.
Das Spektrum der Szene ist breit. Es gibt viele puristische Salafisten, die zwar der Ideologie anhängen, aber Gewalt ablehnen. Andere jedoch propagieren die radikalste Variante des Salafismus: den Dschihad, den Heiligen Krieg gegen die »Kuffar« – die aus ihrer Sicht »Ungläubigen«. Yusuf O. kam wie so viele andere über Freunde an der Uni in Kontakt mit der salafistischen Szene. Von dort ist der Weg zu Gewalt und Terror nicht mehr weit, sagt der Dschihad-Experte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
»Bei alle Terrorverdächtigen, die vor Gericht gestellt wurden, bei allen Terrorverdächtigen, die ausgereist sind, kann man feststellen, dass sie zunächst einmal im salafistischen Milieu unterwegs waren. Man kann das tatsächlich auch bis auf die einzelne Moschee, bis auf das einzelne Kulturzentrum herunterbrechen. Insofern muss man eben feststellen, dass die salafistischen Gemeinden hier in Deutschland den organisatorischen und den ideologischen Nährboden abgeben, ohne dass damit direkt eine unmittelbare Schuld verbunden ist.«
Denn es sind nicht mehr die große Moscheen, in denen offen zum Dschihad aufgerufen wird – schließlich hat der Verfassungsschutz die Häuser im Blick. Moscheen dienen heute nur noch als Treffpunkt, wo Salafisten gezielt junge Muslime ansprechen können. Die radikale Szene hat sich längst in private Räume zurückgezogen. Man trifft sich zu Hause im Wohnzimmer. Hier sind die Hassprediger vor unerwünschten Zuhörern sicher. Sie treten wie Verführer auf, die Jugendliche in Gespräche über deren Probleme und die aus ihrer Sicht wahre Religion verwickeln, sagte Bernd Palenda, kommissarischer Leiter des Berliner Verfassungsschutzes.
»Und nachdem diese ersten Kontakte aufgenommen worden sind, verläuft der Kontakt dann eben durch das Mitnehmen zu Diskussionsveranstaltungen und das weitere Vertiefen des persönlichen, aber auch des islamistischen Kontakts durch Vorträge, Lesungen und ähnliche Aktivitäten.«
Auch Yusuf O. besuchte regelmäßig einschlägige Moscheen in Berlin. 4500 gewaltaffine Salafisten hat der Verfassungsschutz bundesweit im vergangenen Jahr gezählt. Zur radikalen Szene zählen Prediger wie Abu Abdullah, ein junger Mann mit langem Bart. Regelmäßig hetzt er in Internetvideos gegen den Westen und dessen Werte. Eines seiner neusten Videos trägt den Titel »Eine Religion namens Demokratie«. Seine Argumentation erinnert an die Klassenkämpfer-Rhetorik links- oder rechtsradikaler Gruppen. Der demokratische Westen beute die Armen dieser Welt aus, lässt Abu Abdullah seine Zuhörer wissen.
»Sind es nicht die europäischen und amerikanischen Touristen in Thailand, die kleine Mädchen dazu zwingen, ihre Körper zu verkaufen, weil diese hungrig sind, weil diese nichts zu essen haben? Und es sind nicht irgendwelche Leute, die dahin gehen und diese Kinder vergewaltigen, sondern es ist die gehobene Klasse in Europa und Amerika. Die Reichen unter ihnen, die Ärzte und die Rechtsanwälte und die Minister. Sie nutzen die Armut dieser Menschen aus. Und das ist die Demokratie.«
Abu Abdullah tritt immer wieder in Deutschland auf. Er gehört zu einer Gruppe, die sich »Die wahre Religion« nennt. Ihre Prediger verkünden ein einfaches, schwarz-weißes Weltbild: Hier die guten Muslime, die der einzig wahren Religion folgen – dort der böse Westen, der Muslime unterdrückt und tötet. Es handele sich um ein wüstes Sammelsurium von verschiedenen Feindbild-Motiven, sagt Dschihad-Experte Guido Steinberg.
»Was man aber immer feststellen kann, ist, dass diese jungen Leute ganz im Stil von Al-Kaida glauben, dass es einen Krieg des Westens gegen den Islam gibt. Also einen der Amerikaner im Irak und in Afghanistan, einen der Israelis in Palästina und auch einen der Deutschen in Nordafghanistan. Und gerade dieses Motiv, unterdrückten Muslimen in aller Welt zu Hilfe zu kommen, ist in Deutschland ganz besonders ausgeprägt.«
Salafisten wenden sich gegen alles, was die Moderne hervorgebracht hat: gegen die Demokratie, gegen Liberalität, Menschenrechte und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der Dschihad-Fachmann Rüdiger Lohlker von der Universität Wien sieht in dieser Haltung ein Paradox. Bei den Salafisten handele es sich keinesfalls um eine anti-moderne Bewegung. Im Gegenteil:
»Sie sind eine moderne Bewegung, die die Moderne kritisiert. Wenn Sie Salafist werden, dann wenden Sie sich als Individuum dem zu. Diese Entscheidung für eine religiöse Option ist eine sehr moderne Sache. Frühere wären sie halt eine bestimmte Art Muslim geworden, weil ihre Eltern das sind. Das heißt, die ganze Tradition wird als Ballast weggeworfen: Wir machen das neu, machen das besser, ganz von Grund auf. Und da ist wieder diese Individualität: Ja, ich kann doch selber in den Koran schauen. Zur Not habe ich jemanden, der mir ein bisschen hilft. Aber prinzipiell bin ich in der Lage, das selber zu tun.«
Trifft also ein psychisch labiler Jugendlicher auf ein Milieu, in dem der Dschihad propagiert wird, besteht die Gefahr, dass er sich radikalisiert. Und doch: Es braucht noch etwas, das die Radikalisierung auslöst. Etwas, das den Schalter umlegt und genügend Wut erzeugt.
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Ein Café gegenüber vom Kriminalgericht in Berlin-Moabit. Hier verbringen Richter, Staatsanwälte und Verteidiger ihre Pausen. Auch der Politikwissenschaftler Dirk Baehr sitzt an diesem Tag hier. Für seine Doktorarbeit hat er den Prozess gegen Yusuf O. intensiv verfolgt. Baehr schreibt seine Dissertation über die Internetpropaganda dschihadistischer Gruppen. Er ist überzeugt: Kriegsvideos im weltweiten Netz, Predigten charismatischer Imame, aber auch islamfeindliche Berichte in den Medien – sie können die Initialzündung für eine Radikalisierung sein. Dschihadisten versuchen auch, gezielt Jugendliche im Internet anzusprechen. Baehr hat in Deutschland eine besorgniserregende Entwicklung ausgemacht.
»Die Anzahl der Personen, die in dieses extremistische Milieu hingeraten, ist ja in den letzten Jahren enorm angestiegen. Und dies hängt viel damit zusammen, dass es seit 2006, 2007 deutschsprachige Propaganda gibt. Also es gab vorher eine dschihadistische Propaganda in Arabisch, in Englisch. Die Jugendlichen hat das in Deutschland reichlich wenig interessiert. Und seitdem diese Propaganda in Deutsch ist, seitdem steigen auch die Zahlen drastisch an. Das ist eine zentrale These meiner Dissertation: dass die deutschsprachige Propaganda sehr, sehr wichtig ist.«
Es ist einfach, diese Propaganda im Netz aufzufinden. Besonders aggressiv tritt die Gruppe »Millatu Ibrahim« auf. Sie wurde im vergangenen Jahr vom Bundesinnenministerium verboten – agiert aber weiter, vermutlich von Kairo aus. Besonders beliebt bei Jugendlichen sind die so genannten Naschids, A-Capella-Gesänge mit religiösem Inhalt – so wie dieser Naschid von einem jungen Mann mit dem Aliasnamen Abu Azzam Al-Almani. Er verherrlicht darin den getöteten Osama bin Laden.
»Osama! Warte auf uns, wir haben Blut gerochen. Wir wollen Merkel und Obama tot sehen. Wir sind stark, weil unser Herr mit uns ist. Sollen sich alle Weltmächte versammeln. Al-Dschihad ist verpflichtend für jeden in Deutschland und überall auf der Erde (…)«
Doch so wichtig derartige Internetpropaganda ist: Im stillen Kämmerlein radikalisiert sich niemand. Davon jedenfalls ist der Islamwissenschaftler Michael Kiefer fest überzeugt. Radikalisierung verlaufe immer in einer Gruppe, sagt er. Dabei ist kein direkter persönlicher Kontakt notwendig – es reicht aus, wenn die Gruppe virtuell im Internet existiert.
»Wir wissen, dass heute die sozialen Netzwerke im Internet eine ungleich höhere Rolle spielen als früher. Und wenn jungen Menschen in Interaktion sind über Facebook, Twitter oder andere soziale Netzwerke, dann bedeutet das nicht, dass sie nur mit sich selbst befasst sind, sondern sie befassen sich nunmal mit anderen. Und selbstverständlich kann man auch im Internet Diskurse führen, Freundschaften pflegen. Kurzum: Der Begriff der Selbstradikalisierung ist aus meiner Perspektive vollkommen unzutreffend, weil er suggeriert, dass der Mensch in der stillen Kammer allein und abgeschlossen eine gewisse Haltung annimmt und diese dann zu einem gewalttätigen Ausbruch früher oder später führt. Das glaube ich nicht.«
Auch Yusuf O. radikalisierte sich in der Gruppe. Er und seine Freunde schauten sich immer wieder zusammen Internetvideos an. Bis schließlich mehrere von ihnen 2009 über die Türkei und den Iran ins Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan reisten. Dort trat dann auch Yusuf O. in Videos der »Deutschen Taliban Mudschahidin« auf. In dem Film »Ruf zur Wahrheit« nennt er sich Ayyub Al-Almani und kniet auf der Erde – links und rechts Raketen, vor ihm ein Maschinengewehr. Sein Gesicht hat er mit einem schwarzen Tuch verhüllt, nur die Augen bleiben frei. Während er redet, sind Bilder aus Deutschland zu sehen: das Brandenburger Tor, der Kölner Dom, die Frankfurter Skyline. Yusuf droht den Deutschen:
»Deshalb merkt Euch! Merkt Euch: Eure Grenzen werden am Hindukusch nicht verteidigt. Erst durch euren Einsatz hier, gegen den Islam, wird der Angriff auf Deutschland für uns Mudschahidin verlockend. Damit auch ihr etwas, etwas von dem Leid kostet, welches das unschuldige afghanische Volk Tag für Tag ertragen muss. Daher ist euer Sicherheitsgefühlt nur eine Illusion. Und es nur eine Frage der Zeit, bis der Dschihad die deutschen Mauern einreißt.«
Als dieses Video im Jahr 2009 kurz vor der letzten Bundestagswahl auftauchte, löste es in Deutschland große Unruhe aus. Die Angst vor einem Anschlag stieg. Mittlerweile haben sich die »Deutschen Taliban Mudschahidin« aufgelöst. Einige der Mitglieder sind am Hindukusch getötet worden. Andere sitzen wie Yusuf O. im Gefängnis. Wie er schweigen die meisten von ihnen zu dem, was sie zum Dschihad gebracht hat. Und was sie erlebt haben. So lässt sich nur vermuten, ob sie der radikalen Ideologie noch immer anhängen. Im Fall von Yusuf O. waren sich die Berliner Richter jedoch sicher, wie Gerichtssprecher Tobias Kaehne sagt:
»Das Gericht geht davon aus, dass er sich nicht von seinem Weltbild abgewandt hat und stuft ihn weiterhin als gefährlich ein.«