Gottes fleißige Schüler – Der Aufstieg
der muslimischen Gülen-Bewegung
»Fethullah Gülen ist ein muslimischer Gelehrter, ein muslimischer Intellektueller, der sich für Frieden, für Bildung und für den Dialog einsetzt, und das aus tiefer religiöser Überzeugung. Was für mich sehr prägend und beispielhaft ist, ist sein Einsatz für den Frieden, für soziale Gerechtigkeit und für einen konstruktiven Umgang miteinander. Dass man Differenzen nicht zu Streitthemen macht, sondern in einem Dialogprozess die Differenzen ausdiskutiert und eine gemeinsame Basis findet, auf der man dann sozial gemeinsam handelt.«
Süleyman Bağ ist ein Journalist aus Berlin mit türkischen Wurzeln. Der gläubige Muslim zählt zur sogenannten Gülen-Bewegung, die der türkische Prediger Fethullah Gülen in den Achtzigerjahren gegründet hat. Millionen Muslime hat Gülen weltweit mit seinen Lehren inspiriert. Vor allem in der Türkei findet die Bewegung großen Zulauf, aber auch in Deutschland, den USA und der ehemaligen Sowjetunion wächst sie. Viele von Gülens Anhängern loben vor allem die modernen Ansichten des Predigers, der den Dialog zwischen den Kulturen fördern wolle. Sie sehen ihn als islamischen Reformdenker.
»Der Islam, in Anführungszeichen, den Gülen verkündet, den er in seinen Schriften lehrt, ist ein ganz konservativer Islam, an Koran und Sunna orientiert, ein sunnitischer Islam, der die Regeln, die Muhammad in seinem Leben vorgelebt hat, im Grunde auch für die heutige Zeit umsetzen möchte und das auch nahelegt. In modernisierter Form, wenn man so will.«
Sagt der Islamwissenschaftler und Theologe Friedmann Eißler. Er arbeitet als Islam-Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Eißlers Kritik ist noch mild im Vergleich zu anderen kritischen Stimmen: Sie sehen in der Gülen-Bewegung ein weltweites Netzwerk, das die Gesellschaften islamisieren will. Gülen – ein Wolf im Schafspelz. Ist das Panikmache von Kritikern, die sich generell mit dem Islam schwertun oder berechtigte Kritik an einer religiösen Bewegung mit zweifelhaften Zielen? Was will die Gülen-Bewegung wirklich?
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Der Potsdamer Platz mitten in Berlin. In wenigen Minuten startet hier das Berlin-Istanbul-Festival. Es soll ein deutsch-türkisches Freundschaftsfest sein. Am Fuße der modernen Hochhäuser haben die Veranstalter Stände aufgebaut, die einem türkischen Bazar nachempfunden sind. Ein junger Mann mit kurzen Haaren tritt auf die Bühne. Ercan Karakoyun, der Organisator des Festes.
»Wir sehen dieses Berlin-Istanbul-Festival als ein Festival der deutsch-türkischen Freundschaft. Es geht uns vor allem darum, Brücken zu bauen. Wir wollen, dass die Menschen sich begegnen, dass sie sich gegenseitig kennenlernen und dass sie sehen, dass die türkische Kultur auch mehr zu bieten hat als Döner Kebab.«
Der Bürgermeister von Berlin-Mitte, SPD-Politiker Christian Hanke, sitzt in der ersten Reihe vor der Bühne. Er tritt als Schirmherr des Festivals auf. Kunsthandwerk, türkische Speisen, Folklore, Volkstanz. Von Religion ist auf dem Potsdamer Platz keine Spur. Auch wer hinter dem Fest steckt, ist für die Besucher nur zu erkennen, wenn sie sehr genau hinschauen. Veranstalter ist ein Verein mit dem Namen Forum für Interkulturellen Dialog, kurz FID. Auf seiner Internetseite wirbt das FID damit, das friedliche Zusammenleben fördern zu wollen. Ercan Karakoyun ist Vorsitzender des Vereins. Sein Büro liegt nur wenige Gehminuten vom Potsdamer Platz entfernt. Ehrenvorsitzender ist Fethullah Gülen, den Karakoyun sehr verehrt:
»Wenn man sich Gülens Werke anschaut – und ich habe alle gelesen –, sieht man ganz deutlich, dass Gülen in seinen Werken niemals Befehle gibt. In seinen Werken versucht er, Werte nahezulegen. Also motiviert zu sein, diszipliniert zu sein, engagiert zu sein, Ehrfurcht vor Gott zu zeigen, die Gebete gut zu verrichten, das Fasten aufrichtig zu machen. Ich glaube, dass er daher jemand ist, der mir dabei hilft, meine Religion besser zu verstehen.«
Mit seinen Büchern und Predigten erreicht Fethullah Gülen regelmäßig Hunderttausende, wenn nicht Millionen, die sich weltweit zu ihm bekennen. Wer den „Hocaeffendi“, den verehrten Lehrer, persönlich erlebt hat, schwärmt von dessen Charisma und Ausstrahlung. Ein wichtiger Satz von Gülens Lehren lautet: Baut Schulen, keine Moscheen. In vielen Ländern haben Gülen-Anhänger deswegen Kindergärten, Nachhilfeinstitute und Schulen gegründet, auch in Deutschland. Gülen propagiert zudem den Dialog zwischen den Religionen. Zentral ist dabei die Lehre des „Hizmet“, des Dienstes an der Gesellschaft. Inspiriert von ihrem Glauben, engagieren sich die Gülen-Anhänger mit großen Einsatz ehrenamtlich. Weltweit haben sie Vereine, Institutionen und private Zirkel ins Leben gerufen. Gülen gilt auch als Reformdenker, weil er eine Interpretation des Korans und anderer islamischer Quellen zulässt, die in die heutige Zeit passen sollen. Und weil er den Islam mit der Wissenschaft vereinbaren will, sagt Ercan Karakoyun.
»Und ich glaube, dass daher Gülen einen Muslim sehr viel mit auf den Weg gibt. Er führt ihn aus der Tradition in die Moderne und ermöglicht ihm so, in modernen Gesellschaften zurecht zu kommen.«
Wie Ercan Karakoyun verweisen Gülens Anhänger gerne auf die liberalen Ansichten des Predigers zu den individuellen Rechten des Menschen.
»Das sind die individuelle Freiheitsrechte, d.h. das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht auf Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Dann, Demokratie ist ein sehr wichtiger Grundpfeiler innerhalb unserer Bewegung. Gülen hat schon 1996 einen Artikel über die Demokratie verfasst und darüber, wie Islam mit der Demokratie vereinbar ist. Und er kommt zu dem Schluss, der der Islam sehr wohl mit der Demokratie vereinbar ist.«
In Deutschland sehen viele aus der Politik oder aus den Kirchen in den Anhängern der Gülen-Bewegung vorbildliche Muslime: einerseits religiös, andererseits modern, liberal, tolerant und weltoffen. Wie geschaffen für die Integration des Islams. So weit so gut – gäbe es da nicht die anderen Stimmen, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Die Kritiker halten die Bewegung für alles andere als harmlos. In der Türkei habe sie längst Staat und Politik unterwandert, heißt ein häufig erhobener Vorwurf. Ende der 90er Jahre wurde Gülen in der Türkei angeklagt, weil er seine Anhänger angeblich dazu aufgerufen hatte, die Kontrolle im Staat zu übernehmen. Kurz zuvor war er in die USA gegangen, offiziell wegen seiner schlechten Gesundheit. Dort lebt er bis heute. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Die Autorin Necla Kelek unterstellte Gülen 2008 in einem Artikel für die FAZ einen »machtbewussten islamischen Chauvinismus«:
»Der Ansatz der Bewegung scheint auf den ersten Blick durchaus modern. Es geht darum, dass die Muslime alle Errungenschaften der Wissenschaft in sich aufnehmen, damit sie mit dem Westen konkurrieren können (…) Betrachtet man aber die Schriften von Fethullah Gülen, zeigt sich eine zutiefst dogmatische und reaktionäre Denkweise.«
Necla Keleks Artikel ist eine einzige Warnung vor der Gülen-Bewegung, die sie als Geheimorganisation bezeichnet. Aus den Zeilen ist deutlich eine Verschwörungstheorie herauszulesen. Nicht alle Kritiker gehen so weit – aber auch differenziertere Stimmen sehen vieles bei der Gülen-Bewegung mit kritischen Augen. Der evangelische Theologe Friedmann Eißler stört sich an einem typischen Muster der Bewegung: Nach außen tritt sie oft säkular auf. Wie beim Berlin-Istanbul-Fest ist die religiöse Motivation nur für den zu erkennen, der genau hinschaut. Bei Gülen dominiere zudem der Islam alle Bereiche des Lebens, ganz gleich ob Gesellschaft, Wissenschaft oder Politik, sagt Eißler. Das gelte auch für Gülens Bekenntnis zur Demokratie:
»Und hier wird Demokratie etwa als etwas Vorläufiges eingestuft. Das ist nicht nur an einer Stelle zu sehen, sondern an vielen Stellen, dass die Demokratie entwicklungsfähig sei. Es wird natürlich auch positiv und vorsichtig ausgedrückt, das ist ja auch klar, dass jetzt hier nicht irgendwelche extremistischen Positionen vertreten werden. Aber die Demokratie ruht auf menschengemachten Gesetzen. Das sind Mehrheitsregelungen, die Menschen untereinander treffen. Das kann noch nicht das Letzte sein. Denn die eigentlichen Werte und Regeln für das menschliche Leben sind durch die Religion gegeben.«
Ercan Karakoyun vom Forum für Interkulturellen Dialog hat diese Kritik oft gehört. Manche Vorwürfe hält er für lächerlich – etwa den, die Gülen-Bewegung unterwandere die Gesellschaft oder wolle sie heimlich islamisieren. Darüber macht er sich gerne lustig. Mit anderen Einwänden setzt er sich ernsthaft auseinander.
»Ich glaube allerdings auch, dass wir als Bewegung weltweit, aber insbesondere in Deutschland bisher bewiesen haben, dass wir keine schlechten Absichten haben. Es gab keinerlei Vorfälle von Problemsituationen. Von daher sehe ich dieses Misstrauen eigentlich eher gelassen. Ich denke mir einfach, dass wir eine junge Bewegung sind und dass viele Menschen erstmal sehen müssen, dass wir wirklich friedliche Menschen sind, die mit den Werten, für die auch die Mehrheitsgesellschaft da ist, mit denen wir übereinstimmen.«
Gülen trete auch für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein, sagt Karakoyun. Doch gerade an diesem Punkt meldet der evangelische Theologe Friedmann Eißler Zweifel an – und verweist auf eine deutsche Koran-Übersetzung des Theologen Ali Ünal. Sie wird vom Fontäne-Verlag herausgegeben, der auch zur Gülen-Bewegung zählt. Fethullah Gülen hat das Vorwort geschrieben. In den Kommentaren zu den Koran-Suren rechtfertigt Ünal unter anderem, dass Männer Frauen schlagen. Wörtlich heißt es:
»Hier geht es keinesfalls darum, dass Frauen nur deshalb geschlagen werden dürfen, weil sie Frauen sind. Vielmehr darf diese Vorgehensweise nur dann angewandt werden, wenn es um eine eindeutig uneinsichtige Frau geht, die sich nicht korrekt verhält, um eine Frau, die eine Verweigerungshaltung einnimmt, im Hinblick nicht nur auf die Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten, sondern auch auf ein moralisch einwandfreies Verhalten.«
Kommt hier das wahre Gesicht der Bewegung zum Vorschein? Ja und Nein. Ja, weil die Koran-Übersetzung eindeutig der Gülen-Bewegung zuzuordnen ist. Das Buch ist ein Indiz dafür, dass es innerhalb der Bewegung Kreise gibt, die solche Ansichten vertreten. Nein, weil sich andere Gülen-Anhänger wie Ercan Karakoyun oder Süleyman Bağ in Interviews glaubwürdig von diesen Inhalten distanzieren. Innerhalb der Bewegung habe die Übersetzung einen Aufschrei ausgelöst, sagt Karakoyun.
»Es gibt viele Stellen in diesem Ali-Ünal-Buch, mit denen ich nicht auf einer Linie bin. Die Sache ist die: Ali Ünal ist ein guter Freund von Fethullah Gülen. Und ich kann mir vorstellen, dass Gülen dieses Vorwort deshalb auch geschrieben hat. Ich bin mir nicht sicher, dass Gülen weiß, wie Ali Ünal in seinen Kommentaren dort geschrieben oder was er alles in seinen Kommentaren geschrieben hat.«
Hier zeigt sich eine der größten Schwächen der Bewegung – die zugleich ihre Stärke erklärt: Die Mitglieder berufen sich zwar alle auf Gülen – es gibt aber keine offizielle Mitgliedschaft, keine formalen Strukturen, keine klaren Hierarchien. Und somit auch nicht das eine wahre Gesicht. Oft lässt sich nur schwer sagen, wer überhaupt zur Gülen-Bewegung gehört und wer nicht. Auf viele wirkt gerade das attraktiv, weil sich Anhänger vor Ort einbringen können. Die Bewegung sei heterogen, sagt der Journalist Süleyman Bağ.
»Eine der Leistungen der Bewegung und auch Fethullah Gülens ist es, dass er eine Dynamik in die Bewegung eingebracht hat, sodass sie sich lokalen Gegebenheiten anpassen kann als auch kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt beibehält. Also nicht assimiliert, insofern würde ich sagen, dass sich die Bewegung in einer Tendenz der inneren Pluralität befindet.«
Die fehlende Transparenz macht es leicht, Verschwörungstheorien zu stricken. Verdächtig erscheint Kritikern auch, dass viele Unternehmer zu dem Netzwerk zählen. Sie unterstützen die Bewegung finanziell und ermöglichen so erst aufwändige Veranstaltungen wie das Berlin-Istanbul-Fest. Argwohn erregt zudem, dass in der Türkei ein Medienimperium zur Gülen-Bewegung gehört, darunter der TV-Sender Samanyolu und die Zeitung Zaman, für die auch Süleyman Bağ arbeitet. Deutsche Ableger dieser Medien arbeiten in Offenbach unter dem Dach der Worldmedia Group, die auch den deutsch-englischen Kanal Ebru TV produziert. Ebenfalls kritisch beäugt werden die so genannten Lichthäuser – studentische Wohngemeinschaften, die der Gülen-Bewegung nahestehen. Die Studenten leben dort eine konservative Form des Islams. Männer und Frauen wohnen strikt getrennt. Es wird gemeinsam gebetet und im Koran gelesen. Alkohol ist streng verboten.
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Eine Schule auf dem ehemaligen Gelände einer britischen Kaserne in Berlin-Spandau. Rund 370 Mädchen und Jungen besuchen hier das Gymnasium oder die Realschule. Fast alle Schüler haben türkische Wurzeln. In diesem Jahr hat der erste Jahrgang Abitur gemacht. Hinter der Privatschule steht ein Verein mit Namen Tüdesb. Er betreibt in Berlin außerdem noch eine Grundschule, vier Kindergärten und sechs Nachhilfezentren. Bundesweit entstehen seit einigen Jahren in den großen Städten Bildungseinrichtungen, die wie diese Schule mit der Gülen-Bewegung verbunden sind. Die Anhänger setzen damit die zentrale Forderung des Predigers um. Gebildete Menschen, so Gülens Annahme, finden automatisch den Weg zum Glauben. Die Wochenzeitung »Die Zeit« nannte die Gülen-Anhänger »Allahs Streber«. Irfan Kumru, hauptamtlicher Vorsitzender des Vereins Tüdesb, sieht das Engagement für Bildung als religiöse Tat, die von Gott belohnt werde:
»Gülen sagt ja in seinen Aussagen: Baut Schulen statt Moscheen. Was ja sehr bekannt ist. Und er ist sozusagen in der Richtung der einzige, der auch gesagt hat, dass Schulen zu bauen Brücken zu bauen ist in die eigene Gesellschaft, in der man lebt. Und dass dies auch im Jenseits positiv ausgelegt wird.«
Auch an der Schule zeigt sich das typische Erscheinungsbild: Die Initiatoren sind streng religiöse Menschen. Ihren Glauben aber tragen sie nicht nach außen. An den Berliner Tüdesb-Schulen gibt es Ethik- statt Religionsunterricht. Auch ansonsten werde der Islam nicht von den Lehrern thematisiert, sagt Kumru.
»Die Menschen, die diese Schulen gegründet haben, mögen religiös motiviert sein, aber das sind auch private Angelegenheiten, die wir so bei der Schulaufnahme oder bei der Schulführung nicht erachten. Das ist für uns nicht relevant, ob jemand herkommt, der religiös ist oder nicht. Wir machen da auch keine Erhebungen, welcher Religion jemand zugehört. Also, sie können auch Atheist sein und bei uns auf die Schule gehen.«
Bilder oder sonstige Hinweise auf Fethullah Gülen sucht man an der Schule vergebens. Nur die Kopftücher vieler Mädchen lassen darauf schließen, dass die Religion zumindest für einen Teil der Schülerschaft wichtig ist. Direktorin Sabrina Leberecht reagiert genervt auf die Frage, ob Gülen an ihrer Schule irgendeine Rolle spielt:
»Nein. Immer nur wieder durch die Reporter. Sie können die Schüler fragen, vielleicht kennen die Gülen. Viele kennen ihn wahrscheinlich nicht. Und von den Lehrern, da wird es auch durch die Reporter und durch die Zeitungsberichte rangetragen, aber es spielt im normalen Schulalltag keine Rolle.«
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Genau dieses säkulare Erscheinungsbild der Gülen-Bewegung sorgt immer wieder für Skepsis. Erklären lässt es sich mit ihren türkischen Wurzeln. Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, setzte dort einen radikalen Laizismus durch. Wer seinen Glauben zu sehr nach außen trug, musste lange mit Nachteilen oder gar Repressionen rechnen. So wurde es für viele Türken normal, ihren Glauben zu verbergen. Dieses Verhalten haben die Gülen-Anhänger in Deutschland beibehalten. Der Journalist Süleyman Bağ nennt es die »türkische Sprache«. Nicht nur in Deutschland befinde sich die Bewegung jedoch in einem Wandel.
»Ich glaube, hier haben wir andere politische Rahmenbedingungen, wo Religiosität und aus der Religion motiviertes Handeln ganz anders gesehen wird. Und ich glaube, die Bewegung und Akteure aus der Bewegung sehen darin eine Chance, sich hier neu zu artikulieren, und in diesem Prozess befinden wir uns.«
Das Berliner Forum für Interkulturellen Dialog FID ist gerade dabei, Neuland zu betreten. Zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri und der Jüdischen Gemeinde will das FID in Berlin-Mitte ein Bet- und Lehrhaus bauen – hier zeigt das Forum nach außen deutlich sein religiöses Gesicht. Die evangelische Gemeinde hat lange nach einem muslimischen Partner gesucht und auch das FID genau unter die Lupe genommen – ohne etwas Anstößiges zu finden, was einer Zusammenarbeit im Weg stünde, sagt Pfarrer Gregor Hohberg.
»Uns hat sehr beeindruckt die große Offenheit und Diskussionsfreudigkeit der Leute, die wir bisher kennen lernen konnten vom Vorstand oder auch aus dem Kreis der Mitglieder des FID. Wir haben viele kritische Artikel auch gelesen über die Gülen-Bewegung und den Kontakt des FID zur Gülen-Bewegung und haben das angesprochen. Und die sind damit souverän umgegangen. Sie waren jederzeit bereit, sich der Diskussion zu stellen. Und das haben wir als sehr positiv und konstruktiv empfunden.«
Im Kuratorium des Bet- und Lehrhauses sitzt auch ein Vertreter des Bundesinnenministeriums. Auch die Berliner Behörde fand nichts, was gegen eine Zusammenarbeit mit dem FID spricht. Das Bet- und Lehrhaus soll kein Ort sein, an dem nur ein Friede-Freude-Eierkuchen-Dialog geführt wird. Über strittige Punkte will Pfarrer Hohberg kontrovers diskutieren. Konstruktive Kritik an der Bewegung sei nützlich und notwendig – das sagt auch der Journalist Süleyman Bağ.
»Da sollten auch die Akteure in der Bewegung mit offenen Ohren und offenen Herzen sich diese Kritik anhören und sehen: Was wird falsch gemacht? Was wird richtig gemacht? Wo hat man vielleicht selbst Fehler gemacht in der Kommunikation, in der Darstellung dessen, wofür man steht? Aber wenn es sich um Verschwörungstheorien handelt oder aus der Türkei nach Deutschland transportierte sinnlose Debatten, dann meine ich, dass das uns nicht weiterbringt.«